Der Künstler Heinz Mellmann
Künstlerische Ausbildung und Entwicklung
Das gestalterische Talent war in Heinz Mellmanns Herkunftsfamilie offensichtlich stark ausgeprägt. Der älteste Sohn Walter Mellmann erhielt eine Ausbildung als Bildhauer und konnte sich mit seinen sakralen Bronzeplastiken und dem Lehrbuch »Ton in meiner Hand« (1968ff.) im Laufe seines Lebens einen Namen machen. Die beiden jüngeren Brüder, Heinz und Wilhelm, ergriffen ebenfalls künstlerisch ausgerichtete Berufe. Heinz lernte Plakatmaler und Dekorateur in einem Kaufhaus, und Wilhelm arbeitete als Schreiner.
Was seine künstlerische Weiterentwicklung anbelangte, war Heinz Mellmann auf sich allein angewiesen. Während seiner Lehrzeit besuchte er zusätzliche Kurse an der Städtischen Kaufmännischen Berufsschule Osnabrück und beim VDAV (dem 1908 gegründeten Vorgänger des heutigen Deutschen Vereins für Fotografie DVF) und bemühte sich autodidaktisch um die Vervollkommnung seiner Kenntnisse in Schrift, Plakat, Figurenzeichnung und Photographie. 1939 arbeitete er zusammen mit einem Freund, Dr. Arthur Morenstecher, an der Auswertung eines Verfahrenspatents zur Herstellung polychromer Trick- und Silhouettefilme.
Als Laborant und Verkäufer war er von 1939 bis 1943 in der Foto- und Kunsthandlung Schaller in Stuttgart angestellt,
für die er eine Reihe von Grußkarten, Buchzeichen und anderer Kleingraphik nach dem zeitüblichen Geschmack anfertigte.
Seine eigenständigsten Arbeiten sind die Entwürfe zu den Märchenbildern, die etwa um das Jahr 1943 entstanden.
Heinz Mellmann, Hänsel und Gretel 3Im Oktober 1944 schloss er mit dem Knaur-Verlag einen Vertrag über die Illustration von einem Kinderbuch mit dem Titel »Wutzl« (Text: Rose Planner-Petelin) ab. Einen Entwurf zu den vertraglich festgelegten 25 Aquarellen plus Umschlagbild bildete vermutlich der folgende, mit Aquarellfarben kolorierte Scherenschnitt.
Heinz MellmannAber Mellmann fällt im Mai 1945 und kann den Vertrag nicht mehr erfüllen. 1946 erscheint das Buch mit Illustrationen von Ruth und Martin Koser-Michaëls.
Ruth Koser-Michaëls, Buchumschlag (1)Mellmanns bevorzugte Technik war der Scherenschnitt. In dieser Technik fertigte er die meisten Bilder persönlichen Inhalts an.
Heinz MellmannDer Scherenschnitt ist ursprünglich die Wiedergabe eines reinen Silhouettebildes oder Schattenrisses.
Anonymus, 18. Jahrhundert (2) Rudolf Koch 1943, »In der Stube« (3)Bei Mellmann finden sich jedoch auch Scherenschnitte, in denen die schwarzen Linien wie dem Zeichenstift nachgeschnitten sind.
Heinz Mellmann, »Heidebauer« Heinz MellmannTrotzdem behält er bei Figuren häufig die schwarzen Körper und Gesichter bei. Dadurch entstand eine für Mellmanns Scherenschnitte typische Stilmischung aus Schwarz-Weiß-Zeichnung und Silhouettenbild.
Heinz MellmannEine andere solche Stilmischung stellen Mellmanns Versuche dar, Scherenschnitte auch farbig zu gestalten. Sei es durch das Kolorieren mit Aquarellfarben,
Heinz Mellmann 1939, »Die blaue Blume«durch Aufkleben des Scherenschnittes auf einen bemalten Karton
Heinz Mellmann 1939, »Traumland« Heinz Mellmannoder durch Bemalung eines Photoabzugs von dem Scherenschnitt mit Lasurfarben.
Heinz MellmannDiese letzte Technik ist diejenige, die auch bei der Herstellung der Heimel-Dias zum Einsatz kam.
Zeitübliche Genres und Vorbilder
Mellmann bediente sich bei seinen Werken vielfacher Genres, die in seiner Zeit üblich und verbreitet waren. Das häufigste ist das Elfen- und Zwergengenre, wie es u.a. von Ernst Kreidolf, Maria Innocentia Hummel und Else Wenz-Viëtor gepflegt wurde. Es ist erkennbar an dem immer wieder repetierten Inventar von Glockenblumen, Insekten, Grashalmen, Zipfelmützen, Marienkäfern, Schmetterlingen, Vögelchen, Zwergen, elfenhaften Naturwesen und pummeligen Kindern. Die besondere Putzigkeit dieser Motive hatte im Bereich der Gebrauchsgraphik offensichtlich einen hohen Marktwert.
Heinz Mellmann aber verlieh diesen Motiven einen für ihn eigentümlichen Ernst.
Heinz MellmannAuch wo Fröhlichkeit dargestellt werden sollte, zeigen die Figuren mehr quasi-erwachsene Feierlichkeit als Drolligkeit und Niedlichkeit.
Heinz Mellmann Heinz Mellmann, Schneewittchen 12 (frühere Fass.)Ähnlich verfährt er in seinen Naturdarstellung, die in manchen Bildern Motive der zeitgenössischen Volks- und Heimatkunst aufgreifen. Aber auch hier kommt der eigentliche idyllisch-ländliche und patriotische Zug der Heimatkunst nicht recht zur Geltung. Weidezäune, Ährensträuße, Obst, Krüge, landwirtschaftliches Gerät und Kulturpflanzen findet man auf Mellmann Bildern nie. Eher scheinen die Bilder Natur als ein Erlebnis der Unmittelbarkeit festhalten zu wollen.
Hermann Huffert 1942 (4) Heinz MellmannDie meisten Naturdarstellungen Mellmanns zeigen solche hervorgehobenen Momente der mystischen Erfahrung eines Naturganzen. Deshalb stellt Mellmann bevorzugt eine menschenleere, selbst aber oft gespenstisch belebte Natur, meist unter massigem Gewölk oder hohem freien Himmel, dar.
Heinz Mellmann, Hänsel und Gretel 6 Heinz MellmannTreten menschliche Wesen mit dieser Natur in Kontakt, geschieht das meist als ein Moment des Erschreckens, Erstaunens oder leisen Grauens.
Heinz Mellmann, Bremer Stadtmusikanten 6 Heinz Mellmann
Heinz Mellmann 1939, »Spuk« Heinz MellmannAuch die häufig auftauchenden belebten Bäume sind sind weniger freundliche Naturgeister als vielmehr Elemente eines potentiell bedrohlichen Naturganzen.
Heinz Mellmann, Hänsel und Gretel 10 (Bearb.) Heinz Mellmann, Hänsel und Gretel 5Dieser mystische Ernst in Mellmanns Naturdarstellungen und seine Vorliebe für das Dunkle und Unheimliche unterscheidet ihn von den rein dekorativ gemeinten Naturdarstellungen des Jugendstil, aus dem er gleichwohl einige Motive entlehnt zu haben scheint.
Ludwig von Zumbusch 1897 (5) Heinz MellmannTrotzdem haben auch Mellmanns Bilder eine stark ausgeprägte dekorative Komponente: sie wirken oft plakat- oder vignettenhaft. An einer Illustration zu dem Märchen »Hänsel und Gretel« lässt sich zeigen, wie Mellmann meist die Waage hält zwischen einer flächig-dekorativen Studie wie im Jugendstil und einem narrativ-schildernden Bild wie im zeitgenössischen Kinderbuch.
Dora Polster 1911, Buchschmuck Heinz Mellmann, Hänsel und Gretel 8 Ruth Koser-Michaëls 1937,
zu Hänsel und Gretel (6) Illustration zu Hänsel und Gretel (7)
Überschneidungen mit dem Jugendstil gibt es allerdings, was die Darstellung von Schwank- oder Narrenfiguren betrifft.
Emil Preetorius 1907, Umschlagbild Heinz Mellmann, Das tapfere Schneiderlein 2 Heinz Mellmann, Das tapfere
zu Chamissos »Peter Schlemihl« (8) Schneiderlein (Titelbild)Die zeitübliche ›altdeutsche‹ Kulisse – eine imaginäre Stadtlandschaft, angesiedelt irgendwo zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert in Deutschland – findet sich auch in einem Aquarell von Heinz Mellmann.
Heinz MellmannUnd auch in dieser Stadtkulisse scheinen die Häuser – wie in der Naturkulisse die Bäume – ein geheimnisvolles Eigenleben zu führen.
(1) Rose Planner-Petelin: Der Wutzl. Geschichte einer merkwürdigen Freundschaft. Mit Bildtafeln nach Aquarellen von Martin und Ruth Koser-Michaëls. München: Droemersche Verlagsanstalt 1946. <zurück>
(2) Ernst Biesalski: Scherenschnitt und Schattenriß. Kleine Geschichte der Silhouettenkunst. 2. Aufl., München 1978. <zurück>
(3) Häusliches Leben. Schattenbilder von Rudolf Koch. Mit einem Nachwort von Ernst Keller. Leipzig o.J. [1934]. (Insel-Bücherei Nr. 124.) <zurück>
(4) Hermann Huffert: Vom Leben, Arbeiten und Fabulieren. Hermann Huffert zu seinen Holzschnitten. In: Archiv für Gebrauchsgraphik 79/2 (1942), p. 52. <zurück>
(5) Ludwig von Zumbusch: Titelbild zum Heft 2/40 (1897) der Zeitschrift »Jugend«. <zurück>
(6) Deutsche Märchen, gesammelt durch die Brüder Grimm, hg. von M. Thilo-Luyken. Mit vielen Bildern von Dora Polster. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt 1911, p. 131. <zurück>
(7) Märchen der Brüder Grimm. Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaëls. Berlin: Knaur Nachf. 1937, p. 239. <zurück>
(8) Adelbert von Chamisso: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. Ill. von Emil Preetorius. München 1907. <zurück>